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Finanzspekulation und Rohstoffpreise

DIW Roundup 63, 5 S.

Michael Hachula, Malte Rieth

2015

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7. Mai 2015

In der letzten Dekade kam es bei Rohstoffen zu heftigen Preisschwankungen. Gleichzeitig nahm der Anteil von Finanzinvestoren an Rohstoffterminbörsen erheblich zu. Im Zuge ist eine Diskussion entbrannt, ob Finanzspekulation Rohstoffpreise von ihren fundamentalen Bestimmungsgrößen entfernt. Wissenschaftliche Studien kommen diesbezüglich jedoch zu keinem eindeutigen Ergebnis. Die Politik hat trotzdem bereits Maßnahmen zur stärkeren Regulierung von Rohstoffterminbörsen eingeleitet. Dieser Roundup gibt einen Überblick über die bisherigen Entwicklungen und den aktuellen Forschungsstand.

Hintergrund

Nach mehr als drei Jahrzehnten relativ konstanter Preise auf den Rohstoffmärkten begann im neuen Jahrtausend eine Phase starker Preisbewegungen. Während Allzeithochs etwa bei Nahrungsmittelpreisen in den Jahren 2008 und 2011/12 in vielen Entwicklungsländern zu Notsituationen führten, erschwerten große Preisschwankungen beispielsweise bei Öl und Metallen die Produktionsplanung von Herstellern und verarbeitenden Unternehmen weltweit.

Im selben Zeitraum begannen viele Finanzinvestoren Rohstoffe als alternative Kapitalanlageklasse zu betrachten. Ihre Präsenz auf Rohstoffterminmärkten nahm erheblich zu. So wird der Kapitalfluss in verschiedene Rohstoffindizes allein zwischen 2000 und 2008 nach Angaben der US Commodity Futures Trading Commission (CFTC, 2008) auf 200 Milliarden US-Dollar geschätzt. Dahinter stehen meist institutionelle Investoren, die einen breiten Index von Rohstoffen kaufen und auf steigende Preise setzen. Eine zweite wichtige Kategorie von Finanzinvestoren sind Hedge Funds und spezialisierte Rohstoffhändler. Gemeinsam mit den Indexinvestoren und mit Produzenten sowie verarbeitender Industrie, die sich auf Terminbörsen gegen Preisrisiken absichert, bilden sie den Großteil der Händler auf Rohstoffterminmärkten. Abbildung 1 stellt den Anteil dieser Gruppen am Marktvolumen auf acht großen Nahrungsmittelterminmärkten dar.

Abbildung 1: Händlerkategorien auf Nahrungsmittel-Futures Börsen in den Jahren 2006 bis 2014 nach Anzahl offener Terminkontrakte.

Quellen: Commodity Futures Trading Commission.

Abbildung 2 zeigt die Entwicklung von Kontraktpreisen (blaue Linie, rechte Skala) und die Anzahl der offenen Terminkontrakte (gelbe Linie) auf den wichtigsten Agrarterminbörsen. Der simultane Verlauf von Preisen und der Anzahl an Kontrakten und die massive Präsenz von Finanzinvestoren entfachte eine intensiv geführte Debatte, ob die „Finanzialisierung” der Rohstoffmärkte zu den Preisbewegungen der letzten Dekade beigetragen und damit womöglich Preissignale für Produzenten und Konsumenten verzerrt hat.

Abbildung 2: Entwicklung von Nahrungsmittelpreisen und offenen Kontrakten auf den größten Agrar-Terminbörsen in den Jahren 1998 bis 2014.

Quellen: Commodity Futures Trading Commission und Thompson Reuters Datastream.

In der öffentlichen Diskussion haben sich stark kontrastierende Meinungen darüber entwickelt. So fordern zivilgesellschaftliche Organisationen wie Foodwatch, Oxfam, Attac und WEED bereits seit längerem – zum Beispiel unter dem Motto „Mit Essen spielt man nicht“ - eine umfassende Regulierung von Rohstoffterminmärkten. Ihrer Meinung nach sind Finanzinvestoren für einen bedeutenden Teil der Preisschwankungen verantwortlich (siehe u. a. Foodwatch, 2013). Durch ihre spekulative Nachfrage nach Terminkontrakten würden sie die Preise von Fundamentalwerten entfernen und die Preisvolatilität erhöhen. Im Gegensatz dazu betonen Regulierungsgegner die Versicherungs- und Informationsaggregationsfunktion von Terminmärkten (siehe u. a. Pies und Will, 2013). Eine stärkere Beteiligung spekulativer Anleger böte Agrarproduzenten und -händlern die Möglichkeit, Preisrisiken besser abzuwälzen und Planungssicherheit zu erlangen. Zudem würden Spekulanten als gut informierte Arbitrageure auftreten, Preisüber- oder Untertreibungen ausnutzen und damit die Märkte ins fundamental gerechtfertigte Gleichgewicht zurückführen.

Erste politische Maßnahmen zur stärkeren Regulierung der Rohstoffderivatemärkte sind auf dem Weg

Inzwischen wurden auf politischer Ebene Maßnahmen zur Regulierung von Rohstoffderivaten eingeleitet. In den USA erteilte der Dodd-Frank Act im Jahr 2010 der CFTC den Auftrag, Rohstoffderivatemärkte stärker zu reglementieren. Bis zum Jahr 2014 erließ sie bereits mehr als 60 Regeln, um die Transparenz auf Rohstoffmärkten zu verbessern. So wird beispielweise über eine Berichts- und Registrierungspflicht für Händler der außerbörsliche („over-the-counter“) Handel stärker erfasst. Gleichzeitig wurde die Art der außerbörslich angebotenen Finanzprodukte stärker standardisiert.

In der Europäischen Union hat die Generaldirektion Landwirtschaft und ländliche Entwicklung eine Expertengruppe eingesetzt. Diese berät die Europäische Kommission bei der Gesetzgebung und Implementierung von Regulierungsmaßnahmen für Rohstoffderivatemärkte. Das Gremium hat zahlreiche Vorschläge unterbreitet, die im Laufe der nächsten Jahre umgesetzt werden dürften. Die Maßnahmen umfassen beispielsweise Positionslimits auf regulierten Handelsplätzen und, ähnlich wie in den USA, strengere Berichtspflichten für außerbörsliche Geschäfte.

Stand der Wissenschaft

Auch in der wissenschaftlichen Literatur bestehen sehr verschiedene Auffassungen über die Folgen der Finanzialisierung. Zahlreiche Studien entdecken keine Anhaltspunkte dafür, dass die Nachfrage nach Terminkontrakten durch Finanzspekulanten die Terminpreise beeinflusst (siehe Büyüksahin and Harris, 2011, Irwin und Sanders, 2012, Aulerich et al., 2013). Andere Untersuchungen jedoch finden für einzelne Märkte, Zeitperioden und Investorentypen einen statistischen Zusammenhang zwischen Finanzspekulation und Preisbewegungen (siehe Mayer, 2012, Ederer et al. 2013, Gilbert und Pfuderer 2014, Singleton 2014). Allerdings sind hierbei die Ergebnisse höchst unterschiedlich. Einige Autoren finden empirische Evidenz dafür, dass eine größere Anzahl an offenen (Kauf-)Terminkontrakten von Spekulanten die Terminpreise steigert, andere, dass sie die Preise senkt.

Weitere Zweige der Literatur untersuchen, in welcher Hinsicht sich Eigenschaften von Rohstoffterminmärkten durch die Finanzialisierung womöglich verändert haben. Einige Studien betrachten dabei den Zusammenhang zwischen Rohstoffmärkten und anderen (Finanz-)Märkten im Zeitverlauf, um darüber Aufschluss zu erlangen, ob Schwankungen in anderen Finanzmärkten zu unerwünschten Preisschwankungen auf Rohstoffmärkten führen. In der Tat zeigen Büyüksahin und Robe (2014), dass die Korrelation zwischen Renditen in Rohstoff- und Aktienmärkten seit 2008 signifikant positiv ist.  Die Autoren finden Evidenz dafür, dass die Aktivität von Hedge Funds, die in beiden Märkten präsent sind, hierfür mitverantwortlich ist. Eine ähnliche Analyse nur für Agrarmärkte von Bruno et al. (2013) zeigt jedoch, dass dieser Zusammenhang nicht für alle Rohstoffklassen besteht.

Hamilton und Wu (2014) untersuchen, ob gesteigerte Spekulation einen Einfluss auf die Risikoprämie hat, die im Terminpreis enthalten ist. Wollten sich Produzenten durch ein Termingeschäft gegen Preisschwankungen absichern, so mussten sie der Gegenseite traditionellerweise eine Prämie für die Übernahme des Preisrisikos zahlen. Die Autoren zeigen, dass die Risikoprämie mittlerweile oft von Finanzinvestoren gezahlt werden muss. Auf diese Weise kommt es auch innerhalb der Teilnehmer an Terminbörsen zu einer neuen Rollenverteilung, von der insbesondere die Produzenten von Rohstoffen profitieren.  Cheng et al. (2014) hingegen weisen darauf hin, dass sich die Verteilung des Preisrisikos im finanzialisierten Markt jedoch schnell wieder ändern kann: Während und nach der Finanzkrise ist ein beträchtlicher Teil des Risikos wieder auf traditionelle Marktteilnehmer wie Produzenten übergegangen, weil sich spekulative Anleger im Zuge der Krise zurückgezogen haben.

Fazit

Die zunehmende Beteiligung von Finanzinvestoren auf Rohstoffterminbörsen und die gleichzeitig starken Rohstoffpreisschwankungen haben eine kontroverse Debatte in Wissenschaft und Politik ausgelöst. Während politisch bereits zahlreiche Maßnahmen zur stärkeren Regulierung von Rohstoffderivatemärkten eingeleitet wurden, kommt die wissenschaftliche Forschung noch zu keinen eindeutigen Ergebnissen, ob die höhere Nachfrage nach Terminkontrakten durch Finanzspekulanten die Terminpreise beeinflusst. Größere Einigkeit besteht in der wissenschaftlichen Literatur darüber, dass sich einige Eigenschaften der Terminbörsen durch die Finanzialisierung verändert haben. Um die politische Diskussion voranzubringen, sind jedoch weitere Untersuchungen notwendig, um die Konsequenzen von geforderten Politikmaßnahmen, wie dem Verbot für Finanzinstitute sich am Handel mit Rohstoffen zu beteiligen, und von bereits umgesetzten Regulierungen für die Funktionsweise von Rohstoffterminbörsen zu beurteilen.

Quellen

Aulerich, N.M., S.H. Irwin and P. Garcia (2013): Bubbles, Food Prices, and Speculation: Evidence from the CFTC’s Daily Large Trader Data Files, in: The Economics of Food Price Volatility: National Bureau of Economic Research, Inc, NBER Chapters.
http://www.nber.org/papers/w19065

Bruno, V.G., B. Büyüksahin and M.A. Robe (2013): The Financialization of Food?, Working Paper No. 39, Bank of Canada.
http://www.bankofcanada.ca/wp-content/uploads/2013/11/wp2013-39.pdf

Büyüksahin, B. and J. Harris (2011): Do Speculators Drive Crude Oil Futures Prices?, The Energy Journal, International Association for Energy Economics, 0(2), 167-202.
http://www.iaee.org/en/publications/ejarticle.aspx?id=2421

Büyüksahin, B. and M.A. Robe (2014): Speculators, commodities and cross-market linkages, Journal of International Money and Finance, 42(0), 38–70.
http://www.sciencedirect.com/science/article/pii/S026156061300106X

Cheng, I.H., A. Kirilenko and W. Xiong (2014): Convective Risk Flows in Commodity Futures Markets, Review of Finance.
http://rof.oxfordjournals.org/content/early/2014/10/14/rof.rfu043.short

Commodity Futures Trading Commission (2008): Staff Report on Commodity Swap Dealers and Index Traders with Commission Recommendations, September 2008.
http://www.cftc.gov/ucm/groups/public/@newsroom/documents/file/cftcstaffreportonswapdealers09.pdf

Ederer, S., C. Heumeser and C. Staritz (2013): The role of fundamentals and financialisation in recent commodity price developments - an empirical analysis for wheat, coffee, cotton, and oil, ÖFSE Working Paper 42.
http://www.oefse.at/en/publications/working-papers/detail-working-paper/publication/show/Publication/The-role-of-fundamentals-and-financialisation-in-recent-commodity-price-developments-an-empirica/

Foodwatch (2013): Foodwatch Argumentationspapier zur Studie „Finanspekulation und Nahrungsmittelpreise“ von Prof. Hans-Henrich Bass, November 2013.
https://www.foodwatch.org/uploads/media/2013-11-21_Argumentationspapier_Bass-Studie.pdf

Foodwatch (2014): Foodwatch fordert: Einfluss von Finanzanlegern zurückdrängen
http://www.foodwatch.org/de/informieren/agrarspekulation/mehr-zum-thema/foodwatch-forderungen/

Gilbert, C.L. and S. Pfuderer (2014): The Role of Index Trading in Price Formation in the Grains and Oilseeds Markets, Journal of Agricultural Economics, 65(2), 303–322.
http://onlinelibrary.wiley.com/doi/10.1111/1477-9552.12068/abstract

Hamilton, J.D. and J.C. Wu (2014): Risk premia in crude oil futures prices, Journal of International Money and Finance, 42, 9–37.
http://www.sciencedirect.com/science/article/pii/S0261560613001058

Irwin, S.H. and D.R. Sanders (2012): Testing the Masters Hypothesis in commodity futures markets, Energy Economics, 34(1), 256–269.
http://www.sciencedirect.com/science/article/pii/S0140988311002362

Mayer, J. (2012): The Growing Financialisation of Commodity Markets: Divergences between Index Investors and Money Managers, Journal of Development Studies, 48(6), 751–767.
http://dx.doi.org/10.1080/00220388.2011.649261

Pies, Ingo und Will, Matthias Georg (2013): Finanzspekulation mit Agrarrohstoffen - Analyse und Bewertung aus wirtschaftsethischer Sicht, Diskussionspapier Nr. 2013-24, Lehrstuhls für Wirtschaftsethikan der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg.
http://wcms.uzi.uni-halle.de/download.php?down=32275&elem=2728397

Singleton, K.J. (2014): Investor Flows and the 2008 Boom/Bust in Oil Prices, Management Science, 60(2), 300–318.
http://pubsonline.informs.org/doi/abs/10.1287/mnsc.2013.1756

Malte Rieth

Wissenschaftlicher Mitarbeiter in der Abteilung Makroökonomie


Frei zugängliche Version: (econstor)
http://hdl.handle.net/10419/111848

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